Stadtbeschreibung

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Lustschutzkeller • Glasmost • Fluchzeug • lachkundig • Erbschuft • Redenschirm • Finsterplatz • Aromkraftwerk • Faltestelle • Taugenachts • Heuchelmörder • Nachtigkeit • Lesegrille • Turnkappe • Nebelbuhler • Niemandsrand • Büstenfalter • Erdlasser • Wundfang • Sommerfiese • Mistachtung • Turnuhr • Kalbstein • Nachtsnutz • Lebensmittenvergiftung • Wollmond • Rabenmäher • wanderschön •Schabenersatz • Unglock • busenrein • Besenwunder • Sommersonnenwunde • Kotflegel • Altleibersommer • Singfinger • Glückenblume • Festaurant • lastwandeln • Redewindung • Händehütte • Hasenlatz • Buchseile • Volkszahmklinik • Luftmolch • Zeitwunder • hundbreit • Molchzähne • Ringerspitzen • Windteppich • Nichtigall • Suchstabe • Schreibfühler • Kopfküssen • Lärmkugel • Abschieb • Rübeneltern • Vergissmeinnacht • Lustwagenanhänger • Mondschenk • Lachverstand • Bösbahnhof • Volksabstummung • Rechenschuft • Zuckerkuss • Landschuft • Ebbe und Glut • Hundarbeitslehrerin •

Das Theater im Kopf

In meiner Theaterarbeit hatte ich das Ziel, Geschichten im Kopf der Zuschauer und Zuschauerinnen wachsen zu lassen. So wurden mit den Jahren meine Darstellungsmittel immer karger bis hin zu den Stücken, während derer ich nur auf der Bühne stand und 20-30 Personen mit ihren Stimmen aus meinem Mund sprechen liess - ohne grosse Gestik, ohne grosse visuelle Abwechslung: in artigen Dialogen oder sich wild unterbrechenden Gruppengesprächen. Hin und wieder sah ich im Zuschauerraum Leute mit aufmerksamen Gesichtszügen, aber geschlossenen Augen - sie sahen das kleinen Kind, das mittelalterliche Schlachtfeld, das fest in sich verkrallt wiehernde alte Liebespaar, den verrückt gewordenen Archivar, die perfekte Hausfrau und die letzten Magnolien im Herbst. In jedem Kopf, so war es mein Wunsch und so kamen auch die Rückmeldungen, lief ein anderer Film ab, hatten die Geschichten oft je eigene Bedeutungen, und die Landschaft, die Gesichter, das Schloss und sein Park, die Küche und die Wüste steuerte jeder aus seiner Erfahrung und Phantasiewelt selber bei. Die Szenerie also war das Werk der Zuschauer - ich lieferte nur die Geschichte und die Stimmen. So war es mir möglich, bepackt mit einem Tramperrucksack in dem ich nur Scheinwerfer, Tonanlage und Pyjama verstaut hatte, mit dem Zug von Theater zu Theater zu ziehen, in der Gewissheit dass die farbigen naturgetreuen und bewegten Bühnenbilder und die Körper und Gesichter meiner Figuren ich in den Köpfen der Zuschauer antreffen würde.

Stadtbeschreibung

Dieses Projekt unterscheidet sich nicht sehr von meiner Theaterarbeit. Meine Absicht war es wieder, kleine Filme in die Köpfe der Zuschauer auszulösen - mit noch weniger Mittel als auf der Bühne. Die kleine Veränderung in den Wörtern sollte nicht nur die Lesegewohnheit stören, sondern sollte anregen zu Phantasien, Bildern - die einem aus dem Alltagstrott für einen Moment herausziehen und begleiten: Der Wollmond ist wunderschön anzuschauen - für manche steht ein Schaf im Mond, für andere scheint er hinter einem Kasschmirschleier durchs Fenster. Der Rabenmäher ist dann schon weniger poetisch und könnte einem aufschrecken lassen, wenn des Nachbars Rasenmäher zu hören ist. Abschieb ist für mich die schweizerische Art von Asylsuchenden Abschied zu nehmen und die Volksabstummung kommt einem vielleicht manchmal bei der Zeitungslektüre in den Sinn.

Dass nicht bei jedem die gleichen Assoziationen hervorgerufen werden, hatte ich gehofft und erwartet. Nicht aber, dass sich sogar Leute über dieses Projekt haben ärgern müssen.

Zu nachtschlafener Zeit

Ca. 50 dieser veränderten Wörter, die ich mit Hilfe auch von FreundInnen gesammelt hatte, schrieb ich auf kleine Karten und mischte diese, wie ein Kartenspiel. Dann numerierte ich die Kärtchen. Vor der BaZ auf dem Aeschenplatz begann ich die Stadtbeschreibung: Kärtchen für Kärtchen schön der Reihe nach. Aeschenplatz - Freie Strasse - Marktplatz - Barfüsserplatz, Leonhardsschulhaus zurück zum Bahnhof bis zum Schützenhaus. Da mir dort die Karten ausgegangen waren, schrieb ich - die Regel verletzend "Schützenmaus". Auch beim Start schrieb ich vor die Türe der BaZ: "Zu nachtschlafender Zeit beschrieb ich die Stadt". Die Strassen, die ich beschrieb, waren menschenleer - es war in der Mitte der Nacht.

Am anderen Tag

Am anderen Tag beging ich noch einmal die beschriebene Strecke. Jetzt waren die Trottoirs natürlich bevölkert. Nur wenige beachteten das Geschriebene. Sehr wenige. Ein wenig enttäuschte mich das - diese Achtlosigkeit, waren doch zumindest in der Freien Strasse alle 5 bis 10 Meter Wörter geschrieben. Irgendwann fällt einem das doch auf? Wem es negativ aufgefallen ist - das hatte mich doch sehr erstaunt - war einer Bank. Vor der stand "Erbschuft". Spuren von Wasser vermischt mit Seife waren an Stelle dieses Wortes zu sehen. Eine heftige Reaktion. Eine nicht erwartete.
Ich war also enttäuscht über die allgemeine Reaktionslosigkeit, freute mich über die wenigen Leute, die ich staunen sah, tröstete mich aber mit der Sicherheit, dass ganz früh am morgen, die ersten, die die Freie Strasse beschritten haben, sicher gestaunt, gelächelt oder den Kopf geschüttelt haben.
Nach Versand der Ausstellungseinladung erhielt ich bereits Rückmeldungen in Form von neuen Wörtern - das Projekt also geht weiter. So hatte ich es mir gewünscht!

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Pressetext zur Ausstellung STÖRUNGEN, 7.-14. Oktober 2004 im spazio.gds in Basel

In der Nacht vom 15. zum 16. August 2002 schrieb Salmony Di Stefano auf den Trottoirs in Basels Innerstadt mit Wandtafelkreide Wörter, die einen "Fehler" enthielten.
Wollmond, Nachtsnutz, Nichtigall...
Der "Text" war auf das Minimum reduziert: auf ein einziges Wort. Und auf das Minimum reduziert war auch der Eingriff in Text: Der Aspekt des Poetischen und der Verfremdung beruht einzig auf dem Austauschen eines Buchstabens mit einem anderen unseres Alphabetes. Auf eine absolute Reduktion der Mittel weist auch die Verwendung von Kreide hin. Ihre Einfachheit und Vorläufigkeit stehen im Gegensatz zu einer überladenden Ästhetik. Von diesen Aufschriften blieb effektiv keiner Spur übrig, ausser in den ausgestellten Fotografien oder in der Erinnerung der Personen, die sie gesehen haben oder ihnen gar nachgegangen waren.

Das Kunstwerk realisiert sich im Kopf der Passanten

Die ausgestellten Fotografien zeigen Salmony Di Stefano beim Beschreiben der Trottoirs oder halten das eilige Gehen der Passanten am Tag danach fest. Sie sind nur eine Dokumentation. Das Werk selber ist nicht vorhanden. Denn dieses realisierte sich - wenn es sich überhaupt realisierte - im dem Moment, in welchem Passanten sich über die Bedeutung der seltsamen Wörter gewundert haben: Als sie den Mechanismus begriffen, haben sie vielleicht selber gemäss den Beispielen neue Wörter kreiert oder liessen ihre Phantasie durch diese Wörter zu neuen Bildern anregen. Der ästhetische Prozess hört also nicht jenem Moment auf, in dem Salmony Di Stefano sich das Projekt ausdenkt, die Wörter erfindet oder schreibt. Die Öffnung zur Teilnahme durch Interpretation und Nachahmung des vorübergehenden Publikums ist der fundamentale Moment dieses Prozesses.

Störung zur Phantasie

In diesem Projekt bestehen die Störungen, auf die der Titel der Ausstellung anspielt, aus den in den Wörtern vorgenommenen Änderungen, die das Gewohnte stören; sie "stören" - mit Diskretion - die Alltagshast, indem sie die Phantasie anregen.