... noonig erwagse!

E Daag im Lääbe vo junge Menschen um 1920 und 2001

Wie war Jugend damals? Wie ist sie heute? Vier Seniorinnen und Senioren haben Jugendliche und vier Schülerinnen und Schüler haben Bewohnerinnen und Bewohner des Altersheims Hofmatt in Münchenstein zu diesem Thema befragt. Die Antworten wurden zu einer Textcollage verarbeitet.

Seniorinnen und Senioren tragen die Antworten ihrer  jungen Interview-Partnerinnen und -Partner vor. Die Jugendliche leihen ihre Stimme den Frauen und Männer aus dem Altersheim.

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Projektbeschrieb

Generationen im Dialog. Ein Dokumentartheater

Ein Projekt der Forschungsstelle Baselbieter Geschichte.

Unterstützt von Pro Juventute, Pro Senectute und der Gemeinde Münchenstein

Durchgeführt von Michèle M. Salmony Di Stefano von September 2000 bis September 2001

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Im Juli 2000 fragte mich die Forschungsstelle Baselbieter Geschichte (FBG) an, ob ich ein Projekt mit SeniorInnen und Jugendlichen erfinden und durchführen könnte. Sie wollte anlässlich des Erscheinens der 6-bändigen Baselbieter Geschichte in verschiedenen Gemeinden Veranstaltungen durchführen, die das Interesse und Bewusstsein für die Geschichte wecken. Es gab Lesungen mit prominenten SchauspielerInnen, Diskussionsrunden und "Buchvernissagen" in Gemeindebibliotheken, Kulturzentren und Schulen. Und nun sollte eben auch ein Generationenprojekt durchgeführt werden.
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Die Idee:

Vergangenheitsforschung: 4 SchülerInnen eines Schulhauses im unteren Baselbiet treten je mit einer Person, die im Altersheim lebt, in Kontakt. Dieser etwa ein 1/4 Jahr dauernde Kontakt besteht aus regelmässigen Besuchen und Gesprächen.

Ziel soll es sein, einerseits Aspekte der Geschichtsschreibung (aus der neuen Baselbieter Kantonsgeschichte) persönlich zu verifizieren und andererseits zu erfragen, wie Lebensweise und persönliche Problemstellungen der befragten SeniorInnen waren, als sie so alt waren wie die jungen ForscherInnen. Die Gespräche werden auf Tonband aufgezeichnet und zum Teil transkribiert werden 

Gegenwartsforschung: 4 SeniorInnen befragen 4 SchülerInnen. Bei diesen 4 Paaren handelt es sich um andere Personen, doch sind die SchülerInnen aus derselben Schule.

4 (rüstige) SeniorInnen treten je mit eineR SchülerIn in Kontakt. Dieser etwa ein 1/4 Jahr dauernde Kontakt besteht aus regelmässigen gegenseitigen Besuchen, Gesprächen und Erkundungsausflügen.

Ziel soll es sein, dass die SeniorInnen die Lebensumstände, Lebensweise, Lebensgefühl und Probleme der jungen Generation erforschen, sich erklären lassen, recherchieren (Aufsuchen der "jungen" Orte, Besuch einer Schulstunde etc.).

Die Gespräche werden auf Tonband aufgenommen, zum Teil auch transkribiert.

Finale

Nach diesem 1/4 Jahr Material-Sammeln soll in einem weiteren 1/4 Jahr das gesamte Material für das Dokumentartheater ausgewertet und zusammengestellt werden:

Die Aussagen der befragten SeniorInnen werden so zusammengestellt, dass - dramaturgisch geordnet - aus den Transkriptionen vorgelesen werden kann, und zwar von den jungen SchülerInnen. Die jungen Menschen also geben ihre Stimme den in Ich-Form gelesenen Interview-Texten der Erinnerungsbilder der SeniorInnen. Dazu eingeblendet Dia- und Videomaterial. 

Umgekehrt geschieht es mit den befragten SchülerInnen. Ihre Aussagen werden so ausgewertet, dass - dramaturgisch geordnet - aus den Transkriptionen vorgelesen werden kann - von den SeniorInnen. Dazu ebenfalls eingeblendetes Bildmaterial. Die SeniorInnen geben also ihre Stimme den in Ich-Form gelesenen Interview-Texten der SchülerInnen.

Das heisst, dass auf der Bühne die SeniorInnen die Sprache der Jungen sprechen, mit allen Ausdrücken, die sich im lockeren Gespräch auf den Tonbandaufzeichnungen vorfinden. Und umgekehrt: die SchülerInnen sprechen die Sprache der SeniorInnen.

Endprodukte:

Für das Archiv:  Tonbandmaterial, Bildmaterial und transkribierte Interviewtexte;

Der Text: Die Zusammenstellung der Texte und die Inszenierung des Abends wird unter künstlerischem Aspekt vorgenommen. Das Stück als solches kann somit von den Beteiligten, aber auch von anderen DarstellerInnen jeder Zeit wieder aufgeführt werden. 

Zeitablauf

Nach den Sommerferien 2000 Organisation des Projektes. Nach den Herbstferien 2000 bis Mitte Januar 2001 Material sammeln. (Februar Transkription der Texte und Sichtung durch Projektleitung). März bis Mai 2001 Erarbeitung des Stückes. Aufführung vor den Sommerferien.

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... und so haben wir's gemacht:

Eine Gemeinde wird gesucht:

Ich nahm mir drei Tage und spazierte durch Gemeinden. Schaute mir die Gemeindeverwaltungen an und die Schulhäuser und die Spielplätze. Beim blossen Hinschauen schon fällt einem einiges auf. Es gibt Schulhäuser, die scheinen ausschliesslich zur Selbstverwirklichung des Putzpersonals erbaut geworden zu sein: Kein Bild, kein Papierfetzelchen, kein Stäubchen und hinter verschlossenen Schulzimmertüren die Stimme von LehrerInnen. Du meine Güte, wo haben die die SchülerInnen versteckt?

In Münchenstein gab es das wunderschöne Gymnasium; aber ich wollte kein Gymnasium-Projekt. Ich wollte stinknormale junge SchülerInnen mit verschiedensten Interessen und Zielen. Natürlich am liebsten ein paar harte Jungs drunter - so mit Lederjacke und Nasenring. Also suchte ich die Sekundarschule/Progymnasium Münchenstein. Ohne Anmeldung spazierte ich durch die Gänge: Ja, dieses Schulhaus ist für Kinder. Zeichnungen, Mäntel, Pflanzen, ein bunt bemalter Container, aus dem Karton quillt, Pinnwand mit Veranstaltungshinweisen und hin und wieder sogar ein Papierfetzelchen auf dem Fussboden. Ja: Hier gibt es Kinder, die Kinder sein dürfen und wichtiger sind als rechtwinklige Sauberkeit. 

Ich rief dem Schulrektor an. Er verabredete sogleich einen Gesprächstermin. Ob ich SchülerInnen finden würde für dieses Projekt, da sei er sich nicht sicher - aber probieren sollten wir das auf alle Fälle. Ich könne auf seine Unterstützung zählen. Ich bekam zwei mal 20 Minuten um allen 3. und 4. Klasse das Projekt vorzustellen. Sie wurden in zwei Schichten von ihren LehrerInnen begleitet. 

Ruhig hörten mir die ca. 100 SchülerInnen zu. 47 nahmen Anmeldungsformulare (für Forschungsarbeit und aIs InterviewpartnerInnen) mit, einige fragten mich in der Schulpause noch ein wenig aus. KeineR sagte sofort zu. Eine fragte enorm viel: Irina (14 Jahre). Sie meldete sich anderntags per E-Mail und zog gleich noch ihre Freundin Sonja (13) mit hinein. Beide besuchen die Sekundarschule. Und dazu kamen noch Samir (15) und Bianca(15), die im Progymnasium in einer Klasse zusammen waren. Mehr meldeten sich nicht. So beschloss ich, diese vier als ForscherInnen und DarstellerInnen zu motivieren.

Münchenstein, das war nun entschieden, soll die Projektgemeinde sein.

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ForscherInnen und Interview-PartnerInnen werden gesucht:

Die jungen ForscherInnen: Bianca, Irina, Samir und Sonja

Am 11. Oktober 2000 lud ich die vier SchülerInnen zu mir nach Hause ein. In unserer kleinen Wohnung kann man sich nur um den Küchentisch setzen. Und da sassen wir also um vier Uhr nachmittags, tranken Cola und knabberten Guzzis. Ich erklärte nochmals das ganze Projekt im Détail, warnte sie vor der langen Ausdauer (alle 14 Tage mindestens ein Nachmittag und vor der Aufführung dann einiges mehr). Ich fragte sie nach alten Bekannten oder Grosseltern, die wir interviewen könnten. Doch sie kannten niemanden.  - Wir waren alle ein bisschen scheu. Um 18 Uhr beendeten wir die Sitzung, gingen die Haustreppe runter, kamen beim Gehen ins lockere Plaudern und sassen und standen am Fusse der Haustreppe dann noch eine halbe Stunde und redeten von Filmen und Büchern, und die Zeit ging ganz flux vorbei und mit ihr die Scheu. Plötzlich war es spät, und alle mussten schnell nach Hause 

Die Senior-InterviewpartnerInnen: Giovanni Della Santa, Berta Lauby, Helen Karch, Margrit Sandmeier 

Jetzt fehlten mir die InterviewpartnerInnen für die Kinder. Der Schuldirektor hatte mir gesagt, dass der Leiter des Altersheim Hofmatt, Herr Plattner, ein sehr offener Mensch sei. Ich solle dort anfragen. Tat ich am nächsten Tag und schickte ihm die Projekteingabe. Auch er war sofort interessiert, und wir verabredeten uns auf den 31. Oktober; ich solle gleich mit den Kindern kommen. Wir waren dann alle zum Mittagessen eingeladen. Und danach brachte er uns zu Giovanni Della Santa (1917) Magrit Sandmeier (1919), Helen Karch (1910) und Berta Lauby (1908). Wir sassen im Kreis. Ich stelle das Projekt vor. Giovanni Della Santa und Samir hörten gleich von Anfang an nicht zu, sondern sprachen miteinander, hatten sich ohne meine Vermittlung bereits zusammengetan. 

Wer von den jungen Frauen sollte wen von den Seniorinnen interviewen? Ich war ein Moment total überfordert - denn ich kannte die Seniorinnen überhaupt nicht. So sagte ich, geht auf die Euch am nächsten Sitzende zu und stellt Euch vor, nehmt den Namen auf, gebt Eure Telefonnummern und verabredet für die nächste Woche gleich den ersten Termin. Und so war das dann auch. Wir hatten enorm Glück gehabt, denn die Partnerinnen passten gut zueinander! Ich gab jeder Seniorin noch meine Visitenkarte, und bat sie, sich bei Problemen bei mir zu melden.

Die jungen InterviewpartnerInnen: Aline (1981), Daniel (1983), Michèle (1984), Yanis (1985)

Da sich in der Sekundarschule niemand als InterviewpartnerIn gemeldet hatte, musste ich nun doch auf's Gymnasium zurückgreifen. Auch hier stiess ich auf Interesse und Förderung. Der Konrektor liess mich in zwei Klassen vorsprechen. Es meldeten sich tatsächlich wieder vier Leute. Mehr brauchte ich nicht. Ich traf mich mit diesen Vieren im Gymnasium, hoffte, dass sie ältere Menschen kennen (NachbarInnen zum Beispiel), denen sie gerne ihr Leben erzählen würden. Aber da war wieder nichts zu holen. 

Die Senior-ForscherInnen: Rösli Hof, Benni Huggel, Toni Hunkeler, Erna Luginbühl

Also wandte ich mich an die Gemeindeverwaltung. Die Kanzlistin gab mir bereitwillig Adressen von Wandervereinen und Seniorentreffs. Da hatte ich nicht so Glück. Bereits am Telephon stiess ich auf Misstrauen. Nur ein Angefragter gab mir die Chance zu einem persönlichen Gespräch, schrieb mir aber gleichentags einen Brief, dass er keinesfalls mittun möchte. Mittlerweile hatte ich Kontakt mit der Pro Senectute, die nicht nur Geld gab, sondern auch ihre Hilfe anbot. Tatsächlich fand eine Mitarbeiterin eine Senior-Forscherin und einen Senior-Forscher, und beide brachten eine Freundin bzw. einen Kollegen mit.

Am 20. Januar trafen sich die Senior-ForscherInnen (alle über 70 Jahre alt) und die Junior-Interview-PartnerInnen zum ersten Mal.

Jetzt waren wir endlich vollzählig! 

Die Interview-Phase

Wie bringe ich 8 Interview-Paare dazu, über die gleichen Dinge zu sprechen?

Es sollten ja am Ende 8 Texte zum gleichen Thema aus 8 verschiedenen Erfahrungsrichtungen vorhanden sein, die nicht bloss Antworten waren, sondern aus einem Gespräch entstanden waren. Die Lösung war für mich, die verschiedenen Themen am groben Raster eines Tagesablaufes aufzuhängen. Wie jemand aufsteht und frühstückt am Morgen, sagt viel über das Familienleben aus, ein Schulmorgen gibt Auskunft über individuelle Sorgen und darüber, wie sich das Phänomen Schule entwickelt hat, was es zum Mittagessen gibt, ist nicht nur historisch interessant und spiegelt Krisen- und Wohlstandszeiten wider, sondern gibt auch Einblick in Erziehungsarten. Freizeitbeschäftigung am Nachmittag oder halt eben Mithilfe bei den Eltern in der Freizeit führt zum Thema Jugendkultur, Pubertät, Liebe, Taschengeld usw. Und was eineR tut bevor er/sie abends schlafen geht, sagt nicht nur sehr viel über die Person aus, sondern führt uns noch einmal in das Familienleben hinein.

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Junior-ForscherInnen

Die Junior-ForscherInnen hatten schon am 1. November mit ihrer Interviewarbeit angefangen. Ein Tonband mit Mikro war im Altersheim deponiert, so dass es allen Vieren dienen konnte.  Sie hatten den Auftrag, alle 14 Tage eine Stunde ein Interview mit ihrer/m PartnerIn zu machen und auf Tonband aufzunehmen. Jedes Interview wurde entweder in Einzelgesprächen oder zu fünft vorbereitet. Ich hielt einen engen Kontakt mit meinen vier jungen MitarbeiterInnen: wir mailten uns, telephonierten, schrieben und trafen uns nach bzw. vor jedem Interview. Sie sollten die Möglichkeit haben, zu berichten, mir Fragen zu stellen und neue Fragenketten von mir zu bekommen. Ich holte mir alle zwei Wochen die neuesten Tonbänder, hörte sie ab und konnte so sofort Feedback geben. Das motivierte einerseits die ForscherInnen, andererseits konnten sie sich in ihrer Tätigkeit als InterviewerInnen fortwährend entwickeln, indem sie den Bezug zum schon gehörten herzustellen lernten. Frageraster hatten Sie alle dieselben, die wir aber ständig individuell auf die befragte Person abänderten.

Eine Geschichtsstunde in der Küche

Am 2. Dezember kamen die vier SchülerInnen zu mir. Wir tranken heisse Schokolade, assen Grättimänner, Nüsse und Mandarinen, während ein Historiker von der FBG vom Leben während der Kriegs- und Krisenzeiten in der Region erzählte. Aufmerksam hörten sie zu, stellten Fragen, machten sich Notizen, denn sie brauchten ja diese Informationen für ihre Interviews. Es waren schöne, zwanglose und konzentrierte zwei Stunden - Geschichtsunterricht, so sagte mir eine, sollte immer so gemütlich sein!

Die vier jungen MitarbeiterInnen machten das hervorragend. Mit jedem Interview ging sowohl bei ihnen als auch bei ihren PartnerInnen die Scheu verloren. Natürlich gab es das Problem, dass zu viel erzählt wurde oder eben auch zu wenig. Aber mit Ausdauer, Feingefühl und Liebenswürdigkeit füllten sie die Tonbänder. 

Am 22. Dezember gingen wir ins Altersheim Hofmatt zu unseren Senior-

Interviewten Kaffee trinken. Es wurden (ohne mein Zutun!) Geschenkchen ausgetauscht.

Die Eltern

Natürlich schrieb ich alle Eltern an, bat sie um ihre Zustimmung zur Beteiligung ihrer Kinder am Projekt. Schickte ihnen immer wieder Arbeitspläne und Probepläne, damit sie auf dem Laufenden waren, wann ihre Kinder für mich ausser Haus waren und hoffte so, dass sie sie auch an die Termine erinnern würden.

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Die Senior-ForscherInnen

Sie hatten dieselbe Aufgabe wie die Junior-ForscherInnen. Zusätzlich aber mussten sie wenigstens einmal zu den jungen Interview-PartnerInnen nach Hause gehen und sich bei laufendem Tonband das Kinderzimmer und somit die Hobbys und die Familiengepflogenheiten erklären lassen. Auf einem Tonband ist zum Beispiel zu hören, wie Aline der Erna ein Computerspiel zeigt und erklärt. 

Auch diese Interviewserie wurden von mir begleitet. Ich besuchte die Senior-ForscherInnen einige Male zu Hause und besprach mit ihnen die Interviews. Hier gab es viel zu bereden! Ich hatte sie gebeten, nie von sich zu erzählen, solange das Tonband lief, nicht die Interviewten zu unterbrechen und keinerlei Urteile zu fällen, sondern das Erzählte einfach nur so zur Kenntnis zu nehmen und klärende Fragen zu stellen. Das war schwierig für sie! Aber es hatte funktioniert. Und ich konnte (Vor-) Urteile abfangen, klären und das Zuhören übernehmen, wenn die Senior-ForscherInnen alte Erinnerungen, die neu während dieser Arbeit auftauchten, erzählen wollten. 

Das Verhältnis zwischen den jungen Befragten und den Senior-Interviewern wurde zum Teil ein echtes Vertrauensverhältnis. Die Jungen schienen es auszunutzen, dass endlich eine erwachsene Person einfach nur zuhört, ohne wenn und aber. Bei einigen sogar so, dass sie sie zu intimen GesprächspartnerInnen machten, mit denen man alles, aber auch alles bereden konnte, vor allem das, was man mit Erwachsenen normalerweise nicht bereden kann! Das bedingte natürlich, dass manches Gehörte sofort telephonisch an mich weitergegeben wurde, denn manchmal war's happig und erfüllte vor allem eine Forscherin mit grosser Sorge. 

Bei ganz "heissen" Themen (Eltern, Liebe) stellten die Jungen einfach das Tonband ab mit der Bemerkung: "Hör mal Michèle, das geht dich jetzt nichts an! " Und stellten es erst wieder an, wenn sie über Neutraleres sprachen. Das bestätigte mir die Richtigkeit davon, dass ich - ausser an einem gemeinsamen Fest - keinerlei Kontakt mit den Interviewten während der Interview-Phase hatte, mich also nicht zwischen die PartnerInnen mischte. Nur so konnte eine direkte Vertrauensbasis gefunden werden. 

Es wurde ausserhalb der Interviews zusammen Kuchen gebacken, Fenster geputzt oder einfach so Tee getrunken und geplaudert - Die Beziehungen verselbständigten sich. Das war mehr, als ich erwartet hatte!

Die Gemeinde hilft mit

Ich fragte den Gemeindepräsidenten, W. Banga, an, ob die Aufführung des projektierten Theaterstückes allenfalls unter dem Patronat der Gemeinde veranstaltet werden könne. Ein Gespräch mit ihm und der Gemeindeverwalterin, B. Grieder, ergab, dass man das Stück zur Feier "Münchenstein 500 Jahre beim Bund" aufführen könnte, und zwar im KUSPO. Das sicherte uns eine maximale Infrastruktur puncto Räume und Werbung. Ich stiess auf liebenswürdige Offenheit.

Apéro mit drei Generationen

Am 13. Februar 2001 luden wir alle Beteiligten ein: die 16 MitarbeiterInnen, die Eltern und LehrerInnen der jungen MitarbeiterInnen. Gastgeber war das Altersheim Hofmatt. Herr Plattner und Herr Banga hiessen uns willkommen, ich stellte alle allen vor, und dann unterhielten sich drei Generationen quer durchmischt zwei Stunden lang. Das war ein wunderschöner Abend. Über dieses Treffen gab es in der BZ einen Pressebericht.

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Ein Stück wird geschrieben.

Dadurch, dass wir die SeniorforscherInnen erst so spät gefunden hatten, verschob sich der ganze Terminplan. So hatte ich bloss 3 Wochen Zeit, das Theaterstück zu schreiben. Ca. 54 Interviews galt es abzuhören und für das Stück relevante Passagen zu transkribieren. Das war spannend und (in dieser kurzen Zeit) anstrengend! Ich arbeitete 2/1/2 Wochen lang täglich bis zu 12 Stunden mit dem Kopfhörer im Ohr. Aus den transkribierten Passagen zimmerte ich dann das Theaterstück. 

Dieser Teil der Arbeit war dann ganz meine Domäne. Hatte ich am Anfang noch gedacht, dass wir das eventuell gemeinsam erarbeiten würden, wurde mir in diesem halben Jahr Interview-Phase klar, dass dies nicht nur aus zeitlichen Gründen nicht möglich ist! 

Das Zusammenführen der Passagen war für mich dann der künstlerische Teil der Arbeit, die mir mit dem schönen Material sehr leicht von der Hand ging und bloss zwei Tage dauerte. 

Die Proben

Am 7. Mai fingen wir mit den Proben an. Jeder und jede hatten anfangs alle 14 Tage eine Einzelprobe und zusätzlich noch hin und wieder eine gemeinsame Probe am Samstagnachmittag. Der Probeplan wurde bis zu den Sommerferien erstellt. Die gemeinsamen Proben endeten stets mit Kaffee und Kuchen (dank Erna und Rösli), und alle blieben wir immer mindestens noch eine Stunde über die Zeit hinaus zusammen. 

Zwei Mitarbeitende waren dem Stück gegenüber skeptisch. Sie hatten Angst, dass ihr Ansehen im Dorf leiden könne, dass sie nach der Aufführung gefragt würden, bei was für einem "Saich" sie da mitgetan hätten. Es ging darum, dass das Stück keine Handlung hatte und dass es für sie zum Teil zusammenhangslos erschien und dass da vielleicht keineR drauskommen würde. Es war für mich schwierig, dieser Verunsicherung zu widerstehen und die Angriffe gelassen entgegenzunehmen und halt immer wieder von neuem zu erklären. Just diese beiden Mitarbeitenden jedoch halfen mir am meisten, setzten sich ein, organisierten und suchten. 

In den Einzelproben wurde bei den Jungen ca. 15 Minuten, bei den SeniorInnen 30-60 Minuten auf 's Plaudern verwendet. Ganz abgesehen davon, dass mich diese 8 Menschen interessierten, ging es bei den Jungen darum, abzuschütteln, was sie so gerade beschäftigt (Schulnoten, schwierige LehrerInnen), um sich auf die Probe konzentrieren zu können. Bei den SeniorInnen aber brauchten wir vor allem Zeit, ihre eigenen Erinnerungen, die während dieser Arbeit hochkamen, durchzugehen. 

Die erste Zeit der Proben wurde darauf verwendet, die Sätze zu analysieren, nachzuspüren, zu klären. 

- Bei den Jungen zum Beispiel: Was beutet es, wenn man 3 seiner 7 Geschwister nicht kennt, weil die schon gestorben waren, als man selber zur Welt kam? Warum trägt eine viele Jahre lang ein Greta Garbo-Bild in ihrem BH? Warum haben die Jungen damals nicht aufbegehrt bzw. aufbegehren können? Und so weiter. 

- Bei den SeniorInnen galt es das "Das-hätte-es-bei-uns-früher-nicht-gegeben" abzufedern, so dass sie die Sätze nachzuvollziehen lernten. Stellvertretend für alle Beispiele soll folgendes stehen: Erna hatte Mühe mit dem Satz:

<<Do muess y s Bett abruume. Es isch so: I ha e Schrybdisch, und denn: ich chaa nit an däm Schrybdisch schaffe, well döt het s immer e Buff. Und denn nimm ich das Zügs uf s Bett und due dört schaffe. Und denne lige immer d Blätter und d‘Ordner död ummenander, und denn loss i das lyyge und gang neume anders aane. Und denn, wenn ich ins Bett will, gseen ich do: ou nai, do muess ich zerscht emool abruume. Denn muess ich eifach am Bode uffschtaple, und am nägschte Daag isch es wider uf em Bett.>> 

Sie hatte eine drakonische Erziehung in ihrer Kindheit erfahren, und so war für sie diese Textpassage unvorstellbar. Mit der Zeit wurde dies jedoch ihr Lieblingssatz, und sie las ihn dann auch lustvoll und hervorragend.

Viele Urteile gab es während dieser ersten Probearbeit zu ändern: Taschengeld, Liebe und Freizeit waren schwer zugänglich. Und manchmal glaubte ich hinter allen Beteuerungen (dass man damals glücklicher war) auch ein kleines Bedauern durchzuspüren - ein Bedauern, ein Leben lang nie so frei gewesen zu sein, wie das die heutigen Jungen sind. Bei diesen doch sehr ernsten Gesprächen gab es hin und wieder auch Tränen.

Auch in dieser Phase passierte mehr, als ich es mir je vorgestellt hatte.

Aneignung des Textes

Die zweite Probephase war dann wirklich ganz dem Schauspielerischen  gewidmet. Ich hatte in der ersten Phase nicht nur Subtext erarbeiten können, sondern auch ausgelotet, welche stimmlichen und schauspielerischen Möglichkeiten vorhanden sind. Mein Bestreben war, die DarstellerInnen so zu belassen, wie sie mit ihrer ganzen Persönlichkeit nun mal sind und mit ihren Möglichkeiten (puncto Stimme und Einfühlungsvermögen) zu spielen. Ich wollte ihnen keinesfalls etwas Fremdes, Künstliches aufnötigen - denn das ist ja immer die grosse Falle beim Laientheater. 

Die Acht haben das enorm gut gelöst. Haben die minimalistische Inszenierung akzeptiert und mit viel Ausdauer sich an die Natürlichkeit des Ausdrucks herangearbeitet.

Wir haben viele Proben abgehalten - aber am Schluss konnten wir überzeugt und stressfrei an die Aufführung, mit dem Gefühl: endlich ist es so weit.

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Die Hauptprobe im Altersheim Hofmatt

Für die sehr Betagten im Altersheim Hofmatt hielten wir unsere Hauptprobe im Altersheim an einem Nachmittag ab. Es kamen ca. 60 Personen. Für die DarstellerInnen war es harte Arbeit, denn viele ZuschauerInnen hörten schlecht (wir hatten keine Mikrophone - hatten nicht mit so viel Menschen gerechnet!) oder wollten weg. Auch beobachteten vor allem die jungen DarstellerInnen gebannt einen Herrn in der vordersten Reihe, der seine Schuhe und seine Socken auszog und jenen Herrn, der sie ihm auch immer wieder anzog. Trotzdem haben sie sich hervorragend gehalten. Danach waren wir zu einem Apéro eingeladen.

Die Gemeinde greift tief in den Sack

Seit den Sommerferien hatte sich die Beziehung zur Gemeinde verstärkt. Wir erhielten gratis einen Proberaum. Und nun begann die Gemeinde den Anlass zu organisieren. Drucklegung und Kosten der Plakate, Handzettel und Programmhefte, Inserate wurde von ihr übernommen; sie führte auch die Pressearbeit (gemäss meinem Pressetext) durch. Es wurde alles ein wenig kurzfristig in Angriff genommen und gab zum Schluss einen ziemlichen Stress. Aber es hat funktioniert! 

Den Anlass selber organisierten Frau B. Grieder (Gemeindeverwalterin) und ich zusammen. Wir wollten nun ja nicht nur eine Aufführung, sondern einen gewichtigen Anlass veranstalten. Ein Apéro nach der Aufführung, das war klar. Aber für eine 500-jahr Feier schien uns das nicht genug. Musik musste her, Und zwar für die ganz junge und die ältere Generation. Da mir bewusst war, dass die Erwartungshaltungen des Publikums auf etwas ganz anderes gerichtet war, als was es zu sehen bekommen würde, beschloss ich, als Einstieg in die Thematik ganz am Anfang eine Rockband und eine Jodel- oder Chorformation auftreten zu lassen. Das schien mir eine für alle klar verständliche Einführung in die Problematik. 

Die Technik und die Musik organisierte ich. Ich beschloss, eine absolut professionelle Ton- und Beleuchtungstechnik zu besorgen. Es war von Anfang an klar, dass ein volles KUSPO zu gross ist, um von Laien-Stimmen gefüllt zu werden. Die Belohnung für dieses Jahr Gratis-Arbeit schien mir, eine perfekte Technik zu sein. (Näheres darüber später.) Alles um den Apéro (inkl. Akkordeon-Spieler) organisierte Frau Grieder.

Schon wieder eine neue Sekte?

Wir klebten alle Plakate, verschickten Handzettel und standen an einem Samstagmorgen vor der Gartenstadt und verteilten Handzettel. Abgesehen davon, dass ich für meine reizenden Töchter (!) gelobt wurde, fragte man uns, was das denn wieder für eine neue Sekte sei. Na ja. Wir amüsierten uns sehr bei dieser Öffentlichkeitsarbeit und hatten viele Zitate aus unserem Text parat.

Die Aufführung

Endspurt: Donnerstag, 20. September: morgens um 10 wird die Bühne eingerichtet (mit einem Mitarbeiter der Gemeinde), während der Betriebsleiter, Herr Stohler, die Stühle aufstellt. Um 14 Uhr Generalprobe noch ohne Mikrophone. Ein letzter Durchlauf, um die Stühle und Tisch auszuprobieren, das Bühnengefühl zu bekommen und vertraut mit den Räumlichkeiten zu werden. TeleBasel kommt und filmt. Nach der Probe noch ein Plauderstündchen mit Silserli und Mineral. Der Gemeindepräsident kommt schnell vorbei, holt sich Infos für die Rede und schaut zum rechten. Die Gemeindeverwalterin besucht uns. Allerletzte Infos und ein gegenseitiges Sich-Mutmachen.

Freitag, 21. September: morgens um 7 Uhr kommt AudioRent mit 3,5 Tonnen Material. Gigantische Apparate und Scheinwerfer. Ich bin von 8.30 mit dabei. Die Jungen kommen über Mittag nach der Schule mal gucken und sind ausser sich vor Staunen und Freude über den technischen Aufwand. Die von mir engagierte Rockband, die ziemlich genervt war, da sie mit ihren Verstärkern nicht zurechtkamen, wurde an die professionelle High-Tech-Anlage angeschlossen. Auch sie waren erleichtert und sehr glücklich. 

Um 14 Uhr Tonprobe: die Kopfbügelmikrophone der DarstellerInnen werden auf jedeN einzelneN eingestellt. Sie haben zwei Stunden Zeit, sich an ihre Mikrophonstimmen zu gewöhnen. Ich lasse sie ihre stimmlich extremsten Passagen lesen. Um 16 Uhr werden sie heimgeschickt. Zwei Junge bleiben, haben keine Lust, heimzugehen - Die Rockband probt. 

Um 19 Uhr sind alle umgezogen. Sie hatten alle (Technik, Darsteller, MusikerInnen) meinen Tages-Ablaufplan, der immer eingehalten wurde. Es gibt einen letzten Soundcheck; mit dem Jodelduett , dem Licht und der Rockband wird der Ablauf besprochen (die Redner hatten diesen schriftlich schon vorher erhalten).

Der Vorhang wird geschlossen. Ich danke meinen 8 MitarbeiterInnen noch einmal für alles - und merke dabei, wie lieb ich sie gewonnen habe in dieser Zeit - von Abgrenzung keine Spur; aber das war ja auch nicht mein Job! Ich danke ihnen also und wünsche toitoitoi und geh von der Bühne weg und öffne die Türe zum Publikum:

Hereinspaziert

Die ZuschauerInnen wurden von vier kleinen (5-7jährigen) Clowns empfangen. Sie verteilten die Programmhefte. (So hatten wir 4 Generationen an einem Abend!)

Die Wette mit dem Betriebsleiter gewann ich: Er musste mehr Stühle holen, es strömten ununterbrochen Leute in den Saal. Junge, alte, mittelalterliche, Punkies und Trachten - es kamen wirklich quer durch die Alter und quer auch durch die verschiedenen Lebensstile Menschen. Der Saal wurde knall voll (etwas über 500 Personen).

Vor der Bühne links auf einer kleinen Vorbühne stand die Rockband (vier junge Menschen, die noch nie einen öffentlichen Auftritt hatten!) mitten in Instrumenten und Mischpulten. Vorne rechts auf der Vorbühne sassen das Jodelduett in Tracht mit ihrem Handorgel-Begleiter. Der Vorhang geschlossen.

Die Türen gingen zu. Das Licht wurde abgedunkelt. Das Jodelduett erhob sich und sang. Der Gemeindepräsident begrüsste das Publikum. Die Rockband spielte einen Rocksong (das war kein Kuschel-Rock!); Ruedi Epple hielt eine Ansprache zum Projekt und zur Baselbieter Geschichte. Das Duett jodelte. Die Rockgruppe spielte ein verrocktes Volksliebeslied (Y weiss nid wär i by). Das Licht ging aus. Das Stück begann. 

Diese Aufführung war für alle, für die ZuschauerInnen und für die DarstellerInnen überwältigend! - Der Applaus war entsprechend. Wir holten dann zum Schluss paarweise alle unsere Interviewpartnerinnen auf die Bühne (hatten das zum Voraus schon organisiert, dass sie in der vordersten Reihe sitzen würden), ich sagte durch's Mikrophon die Namen an. 

Am Schluss standen 16 ziemlich glückliche und gerührte Menschen auf der Bühne: jungalt jungalt jungalt. Das Schlussbild, so glaube ich, erklärte, was ein Jahr lang in einer Gemeinde des Kantons Baselland passiert war.

Danach der Apéritif mit Häppchen für 500 Personen. Der Akkordeon-Spieler spielte sich zwischen den Leuten durch und bis 12 Uhr nachts wurde angeregt geplaudert - junge und alte!

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(Tristes) Nachspiel in Liestal

Wir wollten für die GeldgeberInnen eine Extra-Aufführung veranstalten. Wollten Danke sagen mit dieser Aufführung. Der Landrat lud ein: Die LandrätInnen, Pro Juventute und ProSenectute. Wir wollten für sie spielen und mit ihnen danach vielleicht bei einem Apéro ein wenig sprechen. Als wir kamen, war der Landratssaal ungeheizt. Wir froren. Die Technik war ziemlich miserabel (auch meine Schuld, weil ich erst im letzten Moment begriff, dass wir eigene Mikrophone mitbringen mussten...) und es kamen 2 Landräte und noch 16 andere Personen. Das hat uns traurig gemacht.

Reaktionen

Die Presse war durchwegs gut. Die Journalistin der Basler Zeitung sagte mir, dass sie nicht wisse, wie so ein Ereignis in Worte zu fassen sei. Jemand vom Betriebsrat des KUSPO meinte, dass man die Infrastruktur so umbauen müsse, dass ohne Dazumieten solche Anlässe durchgeführt werden könnten. Denn vor allem für so etwas sei ja ein Gemeindezentrum. Aus einer anderen Gemeinde hörte ich, dass man es nie geschafft habe, so etwas (vom dem die ganze Gemeinde betroffen sei) auf die Beine zu stellen, obwohl die Infrastruktur vorhanden sei. Das Publikum war sehr begeistert. Die MitarbeiterInnen haben mir alle Dankesbriefe geschrieben. Stellvertretend für alle soll folgendes Zitat stehen: "Es war wirklich - Entschuldigung - voll geil!" Alle Mitarbeitenden werden heute noch (Oktober) auf der Strasse auf das Stück angesprochen und sind sehr stolz. Dass die jungen InterviewerInnen nach dem Stück nochmals ins Altersheim gingen, um Blumen zu bringen oder Kaffee zu trinken mit ihren SeniorInnen, das hat mich sehr beeindruckt. Offensichtlich hat die Geschichte in diesem Projekt wirklich Generationen verbunden. Schön!

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Schlussbetrachtungen:

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Genauere Vorstellungen (über den Projektbeschrieb hinaus), wie ich dieses Projekt angehen sollte, hatte ich nicht. Ich sah das Endresultat vor mir, wusste, wie sich das Stück auf der Bühne anfühlen sollte, aber den Entstehungs-Prozess wagte ich mir nicht näher vorzustellen. Ich hatte noch nie ein Projekt zuvor gemacht und war überzeugt, dass ich mit den MitarbeiterInnen zusammen das Geschehen fortlaufend erfinden werden müsse. Ich wollte mich nicht festlegen, bevor ich nicht alle kannte. Habe also auch das Wie, Wann und Wo der Interviews erst "erfunden", als ich alle Umstände und beteiligten Personen kannte und individuell auf die einzelnen Möglichkeiten und Fähigkeiten eingehen konnte. So gab es viele Überraschungen und keine Enttäuschungen. 

Was mich vor allem überrascht hatte, war: Dieses Projekt war vor allem Sozialarbeit - mehr Sozialarbeit als Kulturarbeit. Das habe ich in dieser Form nicht erwartet. Ein paar der Jugendlichen fielen während des Projektes in die Pubertät: Ich war Klagemauer sowohl für Eltern als auch für Kinder. - Aber nicht nur ich: auch einer Senior-Forscherin passierte das, und sie war nahe dran, ihre Interview-Partnerin bei sich zu Hause aufzunehmen. Bei den SeniorInnen war vor allem aufmerksames Zuhören gefordert - viel und immer wieder. 

Das war nun aber auch das Beglückende an diesem Projekt: Es macht in jeder Phase Sinn und stellte für mich kulturelle Betätigung zum Selbstzweck sehr in Frage. 

Das war aber auch das Anstrengende an diesem Projekt: Ich verfüge über keinerlei Ausbildung im sozialen Bereich und habe uns 16 von einer Situation in die nächste wachsen lassen - Trennung von Privatleben und Projekt gab es nicht; als Künstlerin kenne ich diese Trennung nicht. Das kam diesem Projekt zugute: Wir hatten nie auch nur eine Spur von Krise, wir hatten nie Streit, es hat keineR je gesagt, er/sie habe keine Lust mehr; wenn ich mal eine Probe abgesagt hatte, stiess das meistens auf ein "Schade"; niemandem war nichts zu viel - aber ein Jahr lang diese Nähe kann sehr anstrengend sein. Sicher gibt es andere Möglichkeiten, ein solches Projekt durchzuführen - aber unterschätzt werden sollte der Aufwand nicht. Ich hatte ihn massiv unterschätzt.

Junge Menschen können älteren Menschen viel bieten! Immer werden die Älteren aufgefordert, von früher zu erzählen. Aber ihre Neugierde wird selten so gefördert. Hier hatten nun SeniorInnen die Möglichkeit, unter dem Vorwand, dass sie Text für ein Theaterstück brauchen, schamlos zu fragen. Ihre eigenen Kinder oder Grosskinder haben sie sicher noch nie so ausgequetscht. - Und die Jungen liessen sich sehr gerne ausquetschen! 

Hier, scheint mir, liegen noch viele Projektmöglichkeiten! Denn: Wer hört denn schon den Jungen zu? Und: Wirklich alt ist man ja erst, wenn man nur noch von früher erzählt!

Das Theaterstück

Das Theaterstück selber hat durchaus auch literarischen Wert. Es gibt Sätze und Textpassagen, die sind einfach schön! In ihrer Kargheit und Wahrheit. Es ist durchaus denkbar, dass auch mit professionellen SchauspielerInnen aufzuführen. Sicherlich aber könnte es auch etwas für Senior/Junior-Theater-Gruppen sein. 

Eine Drucklegung ist anzustreben, so dass das Stück auch für jene zugänglich wird, die nicht aus der Region oder aus der Szene (Jugend- Altersarbeit) sind. 

Ich äusserte einmal in einer Probe, dass ich das Stück gerne publizieren würde. Beni Huggel, der die Baselbieterdeutsche Grammatik beherrscht, hatte an meiner Transkription zu Recht vieles auszusetzten. Ich hatte halt phonetisch niedergeschrieben, was ich auf den Tonbändern vorfand. Es war lesbar - aber eben sehr fehlerhaft. In Eigeninitiative hatte er über den Sommer das ganze Stück in perfekte Mundart umgeschrieben und mir davon eine Diskette geschenkt - für die Drucklegung. Nach minimer Überarbeitung wäre also für eine Publikation alles bereit. 

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Schluss

Ich denke auch jetzt noch, nach Abschluss der Arbeit, an "meine" Leute, bin bange um jene mit gesundheitlichen Problemen, und frage mich ob diese und jener wohl doch noch ein Pärchen geworden sind...

Wir haben uns ein Wiedersehen versprochen - bin gespannt, ob -; und bin gespannt, ob eine mich mal in 40 Jahren fragen wird, wie denn das war, mit meiner ersten Liebe. Sie fing mit einem Päckchen Camel an, und er hiess Jonny...

DANKE:

Vor allem an meine 16 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen! An Ruedi Epple und die Forschungsstelle, ohne die überhaupt nichts passiert wäre. An Frau B. Roncoroni von Pro Senectute und Herrn Th. Vielemeyer von Pro Juventute. An die Gemeinde Münchenstein, d. h. Frau B. Grieder (sie hat viel getan für uns!), Herrn W. Banga (er hat viel gewagt für uns!) und den Gemeindemitarbeiterinnen und -mitarbeiter, die mir dort ein Zimmer besorgt , da eine Adresse rausgesucht, hier Brötchen gestrichen haben und und und. An Herrn C. Knauer und R. Straumann, von der Sekundarschule Münchenstein bzw. vom Gymnasium Münchenstein, die mir den Zugang zur Jugend verschafft haben. An Herrn R. Stohler, Betriebsleiter KUSPO, mit ihm zusammen war nichts ein Stress. An Herrn A. Plattner, unser grosszügiger und liebenswürdiger Gastgeber. An Eve's Paradise & das Jodelduett Heidi Blum: ihr habt auf's Schönste unser Stück eingeführt. An den Landrats-präsidenten Ernst Thöni, der uns in den Landratssaal eingeladen hat. An Beni Huggel, für die Mundartbearbeitung des Theaterstückes - das war grosse Arbeit. An all die vielen anderen: 

Ich staune immer noch, dass da eine kommen kann mit einer Idee, und wildfremde Menschen vertrauen ihr einfach so und helfen ihr, diese Idee zu verwirklichen: DANKE!

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